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Abwanderung kann Demokratie stärken

Die Verfügbarkeit günstiger Kommunikations- und Verkehrsmittel sorgt dafür, dass Abwanderer inzwischen nicht mehr von ihren Herkunftsländern abgeschnitten sind, sondern an die Zurückgebliebenen neben Waren und Geld auch Wissen und Werte aus ihrer neuen Heimat übermitteln. Der dadurch entstehende Rückfluss von politischen Informationen und demokratischen Werten kann das Weltbild der Zurückgebliebenen nachhaltig verändern und so zur Demokratisierung und zum Machtverlust autoritärer Regierungen beitragen. Diesen Effekt wies der Entwicklungsökonom Toman Barsbai vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) gemeinsam mit Forschern aus Paris und München am Beispiel Moldawiens nach. Er widerlegte damit die bislang vorherrschende Brain-Drain-These, nach der Abwanderung zwangsläufig zu einem Verlust an Intellekt und politischer Opposition im Herkunftsland führt, da vor allem junge und kritische Menschen abwanderten.

Politischer Umbruch in Moldawien dank Abwanderung

Am Beispiel Moldawiens zeigen die Forscher, dass eine höhere Abwanderung nach Westeuropa Anfang der 2000er mit einem niedrigeren Stimmanteil für die Kommunistische Partei einherging, die wiederholt die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz beschnitt. Eine Abwanderung von einem Prozent der Bevölkerung nach Westeuropa verringerte den Stimmenanteil der Kommunistischen Partei unter der zurückgebliebenen Bevölkerung um etwa 0,6 Prozentpunkte. „Die Abwanderung einer der Kommunistischen Partei vermutlich überwiegend kritisch eingestellten Wählerschaft wurde durch den Rückfluss von politischen Informationen und Werten aus Westeuropa also mehr als kompensiert“, so Barsbai. Besonders stark habe sich das Wahlverhalten in Gemeinden verändert, in denen große Bevölkerungsanteile ein niedriges Bildungsniveau aufwiesen oder zu Zeiten der Sowjetunion aufgewachsen sind.

Außerdem zeigten Bewohner von Gemeinden mit hohen Abwanderungsraten nach Westeuropa zunehmend weniger Vertrauen in staatliche Medien und sahen Einmischungen des Staates in die Wirtschaft des Landes immer kritischer. „Somit hat die Abwanderung in den Westen zu einem tiefgreifenden politischen Wandel in Moldawien beigetragen. Insgesamt hat die durch die Abwanderung nach Westeuropa hervorgerufene Veränderung des Wahlverhaltens in Moldawien der Kommunistischen Partei etwa drei Prozentpunkte Stimmenanteil gekostet und war damit mitentscheidend für die knappe Abwahl der kommunistischen Regierung zugunsten einer liberalen und zur Europäischen Union orientierten Koalition der ehemaligen Oppositionsparteien im Juli 2009“, so Barsbai.

Ebenso war der umgekehrte Effekt zu beobachten, eine Abwanderung in ein Land mit autoritären Institutionen verfestigte den heimischen Status quo. Die Abwanderung von einem Prozent der Bevölkerung nach Russland erhöhte den Stimmenanteil der Kommunistischen Partei unter der zurückgebliebenen Bevölkerung um etwa 0,4 Prozentpunkte.

Einwanderungspolitik zur Demokratisierung nutzen

„Abwanderung kann in Zeiten von zunehmend globaler werdenden Arbeitsmärkten wichtige politische Effekte nach sich ziehen. Vor allem kann Abwanderung in Länder mit etablierten Demokratien dazu beitragen, dass sich demokratische Werte in Herkunftsländern mit noch jungen Demokratien verbreiten und festigen. Einwanderungsländer wie die USA und viele europäische Staaten sollten diese Effekte in ihren Einwanderungspolitiken berücksichtigen, um den politischen Wandel im Ausland auch in ihrem Sinne voranzutreiben“, sagte Barsbai.

Die komplette Studie von Toman Barsbai, Hillel Rapoport, Andreas Steinmayr und Christoph Trebesch erscheint demnächst unter dem Titel „The Effect of Labor Migration on the Diffusion of Democracy: Evidence from a Former Soviet Republic” im American Economic Journal: Applied Economics (AEJ Applied).

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