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Deutsche Wirtschaft näher am Limit

Deutschland steuert in die Endphase eines lang gezogenen Aufschwungs und driftet in die Hochkonjunktur. Weitere Zuwächse bei der Wirtschaftsleistung werden immer mehr durch Kapazitätsengpässe limitiert. Zwar steigen auch die Unternehmensinvestitionen, diese können eine Verknappung der Produktionskapazitäten aber nicht aufhalten. „Die Frage ist derzeit weniger, wo sieht man Anzeichen einer Überhitzung in der Wirtschaft, sondern eher, wo sieht man noch keine“, sagte Prof. Dr. Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums am Institut für Weltwirtschaft (IfW), anlässlich der heute vorgestellten Konjunkturprognose für Deutschland, Europa und die Welt bis 2019. „Die Überauslastung steigt immer weiter und wird im Prognosezeitraum vermutlich Werte annehmen, wie zuvor nur in Hochkonjunkturphasen, etwa nach der Wiedervereinigung oder vor Ausbruch der Finanzkrise.“

Für das Jahr 2018 erwarten die Konjunkturforscher des IfW eine Zuwachsrate des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 2,5 Prozent und für das Jahr 2019 von 2,3 Prozent. Damit erhöhen sie ihre Prognose für 2019 leicht um 0,1 Prozentpunkte. Grund sind die geplanten fiskalpolitischen Maß­nahmen der neuen Bundesregierung: Absenkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte, Mütterrente II, Baukindergeld sowie diverse Investitions- und Förderpro­gramme in den Bereichen Infrastruktur, Bildung oder Arbeitsmarkt, die ab 2019 wirksam werden dürften und vor allem das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte erhöhen.

Unmittelbare Auswirkungen für die deutsche Konjunktur durch die aktuelle Debatte um Strafzölle sehen die Forscher nicht. „Gleichwohl würde ein eskalierender Handelskonflikt die Konjunktur natürlich deutlich belasten“, so Kooths.

Konsum, Investitionen und Exporte treiben Konjunktur

Treibende Kräfte bleiben die Binnen- und die Außenwirtschaft. Angesichts der sich weiter verbessernden Arbeitsmarktlage und der im Koalitionsvertrag vereinbarten Abgabensenkungen und Leistungsausweitungen dürfte der private Konsum wieder kräftig zulegen. Um 1,7 Prozent in die­sem Jahr und, aufgrund von der Bundesregierung geplanter Maßnahmen, um beachtliche 2,2 Prozent im nächsten Jahr, dem höchsten Wert seit 1999.

Die zunehmende Kapazitätsauslastung in vielen Branchen führt zu höheren Unternehmensinvesti­tionen. Die Finanzierungsbedingungen dafür bleiben absehbar sehr günstig. Die sich abzeichnende sanfte Zinswende dürfte die Kreditnachfrage sogar noch beflügeln. Die Ausrüstungsinvestitionen werden in den Jahren 2018 und 2019 voraussichtlich um die 5 Prozent zulegen, die Anlageinvesti­tionen um 3,5 Prozent (2018) bzw. 4,4 Prozent (2019).

Daneben bleibt auch das Auslandsgeschäft eine Triebfeder des Aufschwungs, auch wenn sich die konjunkturelle Dynamik bei den Handelspartnern im Verlauf des Prognosezeitraums etwas abschwächen dürfte. Die IfW-Forscher rechnen mit einer Zunahme der Exporte um 6,2 Prozent (2018) und 4,8 Prozent (2019).

Engpässe auf dem Bau und dem Arbeitsmarkt

Insbesondere die Bautätigkeit leidet unter Kapazitätsengpässen. „Dort schaffen es die Unternehmen offenbar kaum noch, die eingehenden Aufträge abzuarbeiten“, so Kooths. Die Experten rechnen in diesem Jahr daher nur noch mit einem Zuwachs der Bauinvestitionen um 1,6 Prozent (2017: +2,6 Prozent) und mit deutlich steigenden Preisen. Erst im kommenden Jahr dürften sich die Bau­investitionen wieder auf mehr als 3,5 Prozent beschleunigen, wenn steigende Unternehmensinves­titionen bei nach wie vor günstigen Rahmenbedingungen für eine Ausweitung der Kapazitäten sorgen.

Die Kapazitätsauslastung von Industrieunternehmen liegt nur knapp unter dem Spitzenwert des Vorkrisenbooms, diese nahmen zuletzt deutlich mehr Aufträge an, als sie mit bestehenden Kapazitäten bewältigen können. Auch im Dienstleistungsbereich steigt die Kapazitätsauslastung, die Knappheit an Arbeitskräften ist dort weiterhin der bedeutendste Hemmschuh, während mangeln­de Nachfrage weiter an Bedeutung verliert. Auch andere Branchen leiden unter einem Mangel an geeignetem Personal.

Auf dem Arbeitsmarkt führt die starke Konjunktur zu weiter steigenden Beschäftigungszahlen und höheren Zuwächsen von Löhnen und Gehältern. Die Bruttolöhne dürften 2018 um 5 Prozent steigen und 2019 um 4,7 Prozent. Die Nettolöhne dürften aufgrund der geplanten Steuer- und Beitragssenkungen um 5 Prozent bzw. 5,2 Prozent steigen. „Solch hohe Zuwachsraten waren zuletzt im Jahr 1992 verzeichnet worden“, so Kooths. Die Arbeitslosenquote dürfte von 5,7 Prozent (2017) auf 5,2 Prozent (2018) und 4,8 Prozent (2019) sinken.

Die Preise dürften in Deutschland in den kommen Jahren merklich steigen. Grund ist die unveränderte Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank bei gleichzeitig starker Konjunktur. Die Experten rechnen in den Jahren 2018 und 2019 mit Inflationsraten von 1,7 bzw. 2,0 Prozent.

Stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik gefordert

Auch wenn die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung geplanten fiskalpolitischen Maßnahmen zu Mehrausgaben von 12  Mrd. Euro führen, steigt der Überschuss der öffentlichen Haushalte aufgrund der starken Konjunktur bis zum Jahr 2019 auf 46 Mrd. Euro. Verantwortlich dafür sind vor allem hohe Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben. Der merkliche Anstieg des BIP sorgt für einen besonders starken Rückgang der Staatsverschuldung in Relation zur Wirtschaftsleistung, und im Jahr 2019 dürfte das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent erstmals seit dem Jahr 2002 wieder unterschritten sein.

Kooths: „Die neue Bundesregierung startet mit kräftigem konjunkturellem Rückenwind. Stabilitäts­orientierte Wirtschaftspolitik ist jetzt besonders gefordert, damit volle Staatskassen nicht zu sorglo­sem Ausgabengebaren und Reformmüdigkeit verleiten. Eine schwarze Null im Bundeshaushalt zeugt in Zeiten des Booms indes von wenig ambitionierter Finanzpolitik. Und wann, wenn nicht in der Hochkonjunktur, sollten Strukturreformen angegangen werden? In keiner anderen Phase sind die damit verbundenen ökonomischen Anpassungslasten für die Betroffenen geringer und der gesamtwirtschaftliche Stabilitätsgewinn größer.“

Euroraum: Stabile Konjunktur, steigende Preise

Die Wirtschaft im Euroraum hat Tritt gefasst und expandiert lebhaft, so die Forscher. Einen zusätz­lichen Schub erhielt die Konjunktur seit Ende des Jahres 2016 von der Belebung des weltwirtschaftlichen Umfelds. Frühindikatoren deuten auf eine Fortsetzung der kräftigen Expansion hin, wobei die Konjunktur weiter durch niedrige Zinsen und eine leicht expansive Finanzpolitik unterstützt wird.

Für 2018 rechnen die Forscher mit einer Zunahme des BIP um 2,4 Prozent, für 2019 mit einem leicht verringerten Zuwachs von 2,1 Prozent. „Potenzialschätzungen für den Euroraum deuten darauf hin, dass die Normalauslastung der Produktionskapazitäten auch hier bereits über­schritten ist“, sagte Kooths. Angesichts der guten Konjunktur wird auch die Verbraucherpreisinflation allmählich anziehen und im Jahr 2019 bei 1,6 Prozent liegen, womit sie sich langsam dem Ziel­bereich der Europäischen Zentralbank annähert.

Donald Trump: Treiber und Risiko der Weltkonjunktur zugleich

Seit Anfang 2018 befindet sich die Weltwirtschaft in einem kräftigen Aufschwung und wird voraus­sichtlich nächstes Jahr ihren Höhepunkt überschreiten. Die Weltproduktion erreichte im vergangenen Jahr mit 3,9 Prozent die höchste Zuwachsrate (gerechnet in Kaufkraftparitäten) seit dem Jahr 2011 und dürfte in den Jahren 2018 und 2019 um 4,0 Prozent bzw. 3,8 Prozent zunehmen.

Dabei erhöhen die Experten vor allem aufgrund der von Donald Trump beschlossenen Steuer­reform ihre Prognose für 2018 und 2019 um 0,1 bzw. 0,2 Prozentpunkte. Gleichzeitig trübte sich die wirtschaftliche Stimmung aufgrund zunehmender Unsicherheit über das zu erwartende Tempo der geldpolitischen Straffung in den USA und Sorge um Strafzölle durch den US-Präsidenten zuletzt etwas ein.

„Turbulenzen an den Finanzmärkten im Zuge der anstehenden geldpolitischen Normalisierung und die Eskalation handelspolitischer Konflikte sind gewichtige Risiken für unsere Prognose der Weltkonjunktur, die in diesem und im nächsten Jahr zwar etwas an Fahrt verliert, aber insgesamt kräftig bleibt“, sagte Kooths.