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Mittelfristprojektion für Deutschland: Expansion übersteigt die Wachstumskräfte

Die konjunkturelle Expansion in Deutschland behält ihr hohes Tempo mittelfristig bei und wird in den kommenden Jahren die Wachstumskräfte spürbar übersteigen. Neben zyklischen Auftriebskräften wirkt insbesondere das sehr expansive monetäre Umfeld (niedrige Zinsen, schwacher Euro) stimulierend. Mit der sich abzeichnenden Hochkonjunktur steigt indes das Rückschlagpotenzial. Dies geht aus der heute veröffentlichten Mittelfristprojek­tion des IfW hervor, die bis 2020 reicht. Die bei Normalauslastung mögliche Wirtschaftsleistung wird zwischen 2015 und 2020 voraussichtlich durchschnittlich um 1,4 Prozent zulegen, das Bruttoinlandsprodukt dagegen durchschnittlich um knapp 2 Prozent, erwarten die Experten.

Bei derzeit in etwa normal ausgelasteten Kapazitäten tritt Deutschland damit den Weg in die Hochkonjunktur an. Im Jahr 2020 wäre die Überauslastung so hoch wie seit dem Wiedervereinigungsboom nicht mehr. „Auch wenn wir für die kommenden fünf Jahre noch keinen scharfen Konjunktureinbruch erwarten, so ist gleichwohl sicher, dass eine solche Boomphase nicht nachhaltig ist“, sagte Prof. Stefan Kooths, Leiter des IfW-Prognosezentrums.

Die Expansion wird stärker als früher von heimischen Auftriebskräften getragen. Aufgrund der weiterhin günstigen Finanzierungsbedingungen hält der Investitionsaufschwung für einen langen Zeitraum an. Dabei steuert die Bauaktivität auf ein Niveau zu, das an die Werte des Wiedervereinigungsbooms heranreicht. Gleichwohl setzt sich die Erosion des für die öffentliche Infrastruktur relevanten Kapitalstocks fort, wenn auch mit geringerem Tempo. Kräftig steigende Einkommen und hohe Beschäftigung halten die Konsumenten in Kauflaune. Die hohe binnenwirtschaftliche Dynamik lässt die Importe mit höheren Raten zulegen als die Exporte – rein rechnerisch wirkt der Außenhandel damit nahezu neutral auf die konjunkturelle Dynamik.

Die Zahl der Erwerbstätigen eilt voraussichtlich weiter von Rekord zu Rekord. Die Arbeitslosenquote wird konjunkturell bedingt bis zum Jahr 2020 wohl auf 4,4 Prozent zurückgehen. Die zunehmenden Anspannungen auf dem Arbeitsmarkt werden sich in stärker steigenden Löhnen niederschlagen. Mittelfristig wird sich der Lohn­anstieg zunehmend beschleunigen und bis 2020 mit über 4 Prozent jährlich so stark steigen wie seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr. Die Zuwanderung dürfte zwar nachlassen, der Wanderungssaldo jedoch deutlich positiv bleiben und damit das andernfalls rückläufige Erwerbspersonenpotenzial stärken.

Die Weltwirtschaft expandiert in den kommenden fünf Jahren zwar etwas schneller als zuletzt, entwickelt aber keinen großen Schwung. Die Weltproduktion wird nach Einschätzung der Experten in den Jahren 2018 bis 2020 im Durchschnitt mit einer Rate von 3,5 Prozent zunehmen. Diese Rate liegt etwas unter dem längerfristigen Durchschnitt und ist erheblich niedriger als in den Jahren des weltwirtschaftlichen Booms vor der Finanzkrise. Ursache ist, dass sich vor allem das Wachstumstempo in den Schwellenländern deutlich verringert hat. Auch das Welthandelsvolumen wächst im Projektionszeitraum voraussichtlich erheblich langsamer als bis zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts.

Kommentar von Prof. Stefan Kooths, Leiter des IfW-Prognosezentrums, zur aktuellen Mittelfristprojektion bis 2020:

„Sofern die Hochkonjunktur nicht schon vorher durch von außen wirkende Kräfte – etwa eine abermalige Zuspitzung der Krise im Euroraum – unterbrochen wird, so wird sie spätestens dann zum Ende kommen, wenn sich die Verzerrungen, zu denen die ausgespro­chen niedrigen Zinsen sowie die kräftigen Einkommenszuwächse in den vermeintlich ‚guten Jahren‘ verleiten, als solche offenbar werden. Die sich dann vollziehende Anpassungsrezession wird umso schmerzhafter sein, je stärker die vorangegangenen Übertreibungen sind.

Die Wirtschaftspolitik ist gehalten, den konjunkturellen Übertreibungen nicht ihrer­seits weitere Nahrung zu geben. Dies bedeutet insbesondere für die Finanzpolitik, die boombedingten kräftigen Zuwächse der Staatseinnahmen exklusiv für die Schuldentilgung zu verwenden. Dies gilt umso mehr, als die Zinsen, die noch auf Jahre hinaus sehr niedrig sein werden, die strukturelle Haushaltslage schönen.

Die Zuwanderung kann einen Beitrag zur Stärkung des Produktionspotenzials leisten, sofern den Zuwanderern Beschäftigungsperspektiven eröffnet werden. Damit aus Erwerbs­willigen auch Erwerbstätige werden können, sollte ihnen ein möglichst rascher Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden und hemmende Arbeitsmarktregulierungen, wie etwa der Mindestlohn, überdacht werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn vor allem Menschen mit geringer Qualifikation zuwandern, deren Produktivität zunächst noch durch Sprachschwierigkeiten und kulturelle Barrieren geschmälert ist. Wenn sie diese Produktivitätsnachteile nicht auf der Lohnseite kompensieren dürfen, bleiben sie de facto vom Arbeitsmarkt ausgesperrt. Das wäre das Gegenteil von gelungener Integration.“

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