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Mittelfristprojektion: Nachlassende Wachstumsdynamik vergrößert Herausforderungen für Finanzpolitik

Olaf Scholz

Die deutsche Wirtschaft wird voraussichtlich für geraume Zeit nicht mehr so hohe Zuwachsraten verzeichnen wie in den vergangenen Jahren. So geht das Wachstum des Produktionspotenzials, also das bei Normalauslastung aller Produktionsfaktoren erzielbare Bruttoinlandsprodukt, vor allem aufgrund des demografischen Wandels mittelfristig zurück. Nach 1,5 Prozent im Jahr 2018 dürfte das Potenzialwachstum Schätzungen des IfW Kiel zufolge im Jahr 2023 nur noch bei rund 1,2 Prozent liegen. Dies geht aus der heute erschienenen Mittelfristprojektion des IfW Kiel hervor.

Auch die Konjunktur hat ihren Hochpunkt demnach wohl überschritten. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit dem Jahr 2014 stärker gestiegen war als das Produktionspotenzial und die deutsche Wirtschaft für einige Zeit deutlich oberhalb ihrer Normalauslastung operiert hatte, gerät die Produktion nun ins Stocken. Die kurzfristige Beschleunigung des BIP im kommenden Jahr ist vor allem einem Kalendereffekt geschuldet. Sowohl die Verlangsamung des Potenzialwachstums als auch die sich abschwächende konjunkturelle Dynamik wird in der mittleren Frist die öffentlichen Finanzen belasten, so dass einer nachhaltigen Finanzpolitik eine große Bedeutung zukommt. „Im neuen Jahrzehnt steht der deutschen Wirtschaft eine ausgeprägte, demografisch bedingte Wachstumsschwäche bevor, die in den Anfangsjahren auch noch mit konjunkturellem Gegenwind einhergeht“, sage Stefan Kooths, Leiter des IfW-Prognosezentrums.

Im neuen Jahrzehnt steht der deutschen Wirtschaft eine ausgeprägte, demografisch bedingte Wachstumsschwäche bevor.

Eine Lockerung oder gar Abschaffung der Schuldenbremse ist nach Auffassung der IfW-Konjunkturexperten weder konjunktur- noch wachstumspolitisch geboten. So stehe die Schuldenbremse der antizyklischen Finanzpolitik nicht im Wege, da die Regel auf strukturelle, also konjunkturbereinigte, Budgetsalden abstelle. Zudem seien die derzeitig außergewöhnlich günstigen Finanzierungskonditionen für den Staat nicht in Stein gemeißelt. Längerfristig müsste mit einer Normalisierung der Geldpolitik gerechnet werden, und mit der demografischen Alterung verändern sich auch andere wichtige Parameter für die Schuldentragfähigkeit, insbesondere die Wachstumsaussichten und die staatlichen Verteilungsspielräume. „Es ist ein Missverständnis, wenn geglaubt wird, der Staat könne nur investieren, wenn er Schulden macht“, erklärte Kooths. Die Finanzpolitik sollte das Augenmerk lieber auf die Verstetigung der Infrastrukturausgaben richten.

Infrastruktur: Verfall wird gestoppt, aber Investitionen sollten besser dosiert werden

Die IfW-Experten legen mit ihrer Mittelfristprojektion auch wieder eine aktualisierte Fortschreibung des öffentlichen Infrastrukturkapitalstocks bis zum Jahr 2023 vor. Demnach kommt die Erosion der Infrastruktur allmählich zum Stillstand. Maßgeblich dafür sind die massiven Aufwüchse der öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, die zuletzt zweistellig zulegten und noch bis Ende des laufenden Jahrzehnts weiter kräftig steigen dürften. „In fünf Jahren zeichnet sich bei den staatlichen nominalen Nettoinvestitionen, Wohnbauten ausgenommen, erstmals seit dem Jahr 2002 wieder eine schwarze Null ab. Der Patient Infrastruktur kommt damit nach zwei Jahrzehnten des Verfalls in eine stabile Lage, eine grundlegende Gesundung ist damit aber noch nicht erreicht“, so Kooths.
 
Die Forscher kritisieren aber, dass vor allem die Kommunen ausgerechnet während des aktuellen Baubooms die Investitionen hochfahren, während sich zu Beginn des nächsten Jahrzehnts bereits eine Reduzierung abzeichnet: „Das Stop-and-go bei den öffentlichen Investitionen verstärkt die zyklischen Schwankungen und macht die Infrastruktur unnötig teuer. Eine Verstetigung des staatlichen Haushaltsgebarens wäre daher ein Gewinn für Stabilität und Wachstum“, sagte Kooths.