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Volle Kassen, wenig Spielräume

Die Parteiprogramme der in Sondierungsgesprächen befindlichen Parteien CDU/CSU und SPD nehmen nur unzureichend in Betracht, dass sich die aktuell sehr gute Haushaltslage des Bundes mittel- bis langfristig wieder verschlechtern wird. Gründe dafür sind die bevorstehende Zinswende, welche zu höheren Zinsausgaben führen wird, eine Verlangsamung der Konjunktur, die geringere Einnahmen des Bundes zur Folge haben wird, und vor allem der demografische Wandel, der die Ausgaben der Sozial­kassen stark belasten wird. Dennoch sehen die Parteien in ihren Wahlprogrammen zusätzliche Ausga­ben und/oder Steuersenkungen vor und verplanen die aktuellen Überschüsse.

Zu diesem Schluss kommt der Finanzwissenschaftler Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft (IfW), der die Parteiprogramme im Hinblick auf ihre Auswirkungen für die öffentlichen Haushal analysiert hat. „Sollten mit dem Start einer neuen Koalitionsregierung haushaltsbelastende Maßnahmen ergriffen werden, die die derzeitigen Überschüsse aufbrauchen, ist es wahrscheinlich, dass entweder noch innerhalb der Legislaturperiode oder in der folgenden korrigierende Eingriffe in Form von Steuererhöhungen oder Leistungskürzungen nötig werden“, sagte Boysen-Hogrefe.

„Solche eigentlich unnötigen Sparmaßnahmen könnten dann den aktuellen Konsens zur Schuldenbremse wieder in Frage stellen.“ Zudem kämen expansiv ausgerichtete finanzpolitische Maßnahmen wie Mehrausgaben oder Abgabensenkungen zur Unzeit, weil sie die bereits hohe konjunkturelle Dynamik weiter anfachen und so das Risiko einer Überhitzung erhöhen würden.

Teure Rentenversprechen seien hier ebenso kritisch zu sehen wie Pläne, Steuern kräftig senken zu wollen. Stattdessen rät Boysen-Hogrefe, die Überschüsse für schlechtere Zeiten anzusparen. „Auch wenn es generell kein Ziel der öffentlichen Haushalte sein sollte, Überschüsse zu erzielen, sind diese mit Blick auf eine kontinuierliche und verlässliche Finanzpolitik derzeit sinnvoll und zu empfehlen.“

Investitionen stärken

Boysen-Hogrefe warnt insbesondere davor, dass künftig finanzielle Mittel für Investitionen fehlen. Schuldenfinanzierte Investitionen seien finanzwirtschaftlich gesehen nur für Nettoinvestitionen sinn­voll, also für Investitionen nach Abzug der Abschreibungen. Aufgrund zu geringer Planungskapazitäten seien Deutschlands Nettoinvestitionen aber selbst in Zeiten von Haushaltsüberschüssen negativ. Zusätzliche Investitionsprogramme könnten nur schleppend umgesetzt werden. „Ziel der Politik muss sein, investive Ausgaben strukturell zu stärken und nicht nach Kassenlage zu betreiben“, sagte Boysen-Hogrefe.

Sinnvoll sei hier etwa eine Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, so dass Ausgaben künftig auf der Ebene anfallen, auf der sie beschlossen wurden. Bislang hätten viele Kommunen aufgrund hoher Sozialausgaben wenig finanziellen Spielraum. Die Idee der Regierung einer überregionalen Verkehrswegeagentur, die mit eigenen Einnahmequellen, etwa aus der Maut, ausgestattet ist, bewertet Boysen-Hogrefe in diesem Zusammenhang positiv. Als zu vage und im Nutzen unklar bewertet er dagegen den Vorschlag von Investitionsverpflichtungen seitens der SPD.

Steuerreform nötig

Insgesamt gebe es im Hinblick auf die zusätzlichen Belastungen der öffentlichen Haushalte in Zukunft kaum Spielräume für dauerhafte Senkungen von Steuern oder Sozialausgaben, mit Ausnahme des Teilhaushaltes der Bundesagentur für Arbeit, der eine Beitragssatzsenkung verkraften könnte. „Die Beiträge zur Sozialen Pflegeversicherung sollten dagegen heute schon angehoben werden, um ein Hin und Her der Gesamtbelastung zu vermeiden. Mit den Mehreinnahmen könnte der Kapitalstock gestärkt werden, um so langfristig den Beitragsanstieg etwas zu dämpfen“, so Boysen-Hogrefe.

Nötig sei ferner eine Reform der Einkommensteuer, da dort die „kalte Progression“ angesichts einer expandierenden Wirtschaft effektiv zu kontinuierlichen, heimlichen Steuererhöhungen führt. Boysen-Hogrefe unterstützt hier die Idee einer Indexierung des Einkommenssteuertarifes, so dass Einkommensgrenzen für einen höheren Steuertarif entsprechend der Inflation steigen. „Dies wäre ein sinnvoller, struktureller Beitrag, der langfristig steigenden Abgabenlast für die privaten Haushalte entgegenzuwirken. Schließlich würde die Ausgabendisziplin erhöht, weil der Finanzierungsweg durch heimliche Steuererhöhungen versperrt wird, was wiederum eine transparentere Haushaltsdebatte in der Zukunft ermöglichen könnte.“