Mehr Wachstum durch ältere Arbeitnehmer
Europas wertvolle Ressource sind seine älteren Mitbürger. Viele dieser Menschen sind bereits im Ruhestand, obwohl sie über wertvolle Fähigkeiten verfügen und diese gerne noch im Arbeitsleben nutzen würden. Würden sie arbeiten, könnten sie die Wirtschaftsleistung erhöhen und damit Steuereinnahmen generieren, die zur Begleichung von Schulden genutzt werden könnten.
– Ergebnisse des Global Economic Symposiums –
Stellen wir uns einen Außerirdischen vor, der an einem grauen Februartag in Brüssel landet. An jeder Straßenecke wird von der Euro-Krise gesprochen – da will der Außerirdische wissen, was es damit auf sich hat.
Ein weiser, alter Mann erklärt sie ihm schließlich: "Die Euro-Zone ist in der Krise, weil die Ausgaben einiger Mitgliedsländer viel höher waren als ihre Einnahmen, wodurch sie Schulden angehäuft haben, deren Rückzahlung von den Gläubigern bezweifelt wird. Griechenland steckt besonders in der Klemme. Die europäischen Regierungen befürchten aber, dass auch andere Länder in Gefahr sind und dass eine Pleite Griechenlands ein Signal für eine Folge von Pleiten wäre."
"Europa", sagt der Weise, "hat aber auch eine wertvolle Ressource, die nicht genutzt wird. Würde man sie einsetzen, könnte man damit mehr Einkommen generieren, die Schulden bezahlen und den Lebensstandard erhöhen. Momentan verhindern aber noch Gesetze aus dem letzten Jahrhundert, dass diese Ressource genutzt wird, und wo es legal ist, sie zu nutzen, fallen hohe Steuern an. Deshalb bleibt diese Ressource weitgehend ungenutzt und verfällt zusehends."
Europas wertvolle Ressource sind seine älteren Mitbürger. Viele dieser Menschen sind bereits im Ruhestand, obwohl sie über wertvolle Fähigkeiten verfügen und diese gerne noch im Arbeitsleben nutzen würden. Würden sie arbeiten, könnten sie die Wirtschaftsleistung erhöhen und damit Steuereinnahmen generieren, die zur Begleichung von Schulden genutzt werden könnten. Empirische Evidenz bestätigt, dass die Beschäftigung älterer Menschen in der Regel nicht die Beschäftigung jüngerer Arbeitnehmer verdrängt; ganz im Gegenteil, es kommt dadurch mehr Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zustande, und dies führt zu mehr Beschäftigungschancen. Viele Rentner würden gerne weiterarbeiten – wenn sie dadurch nicht einen Teil ihrer Rente verlieren würden. Trotzdem halten viele Regierungen weiterhin an einem Renteneintrittsalter fest, dass die Menschen für rund ein Viertel ihres Lebens entmutigt zu arbeiten oder in die Schattenwirtschaft drängt.
Das Renteneintrittsalter zu erhöhen ist unpopulär – denn die Menschen gehen davon aus, dass sie für unveränderte Rentenansprüche länger arbeiten sollen. Auch viele Arbeitgeber halten nichts davon, weil sie denken, dass die Menschen mit zunehmendem Alter unproduktiver werden. Regierungen könnten diese Vorurteile als Missverständnisse enttarnen und sie auflösen. Sie müssten ihren Bürgern nur einen "großen Deal" anbieten: Erstens wird niemand gezwungen, länger als bis zum Renteneintrittsalter zu arbeiten – aber es wird erlaubt. Die Menschen sollten die Wahl haben, entweder wie heute zu diesem Alter in Rente zu gehen – oder aber länger zu arbeiten und mehr zu verdienen, ohne dabei auch nur einen Cent ihrer zukünftigen Rentenansprüche zu verlieren. Zweitens gibt es für diejenigen, die länger arbeiten wollen, keinen Kündigungsschutz mehr, und sie müssen ihr Gehalt mit dem Arbeitgeber neu verhandeln. Somit werden nur die Menschen länger arbeiten, die damit sowohl mit sich selbst als auch mit ihrem Arbeitgeber Einvernehmen erzielen. Und drittens werden Arbeitgebern Anreize geboten, damit sie ältere Mitarbeiter halten, flexiblere Arbeitsbedingungen für sie schaffen und sie so lange wie nötig weiterbilden.
Dies kann durch Beschäftigungs- und Ausbildungsgutscheine geschehen. Damit werden Arbeitnehmer, die nach dem Renteneintrittsalter weiterarbeiten, Subventionen bekommen, um ihre Lohn- und Ausbildungskosten zu senken. Finanziert werden könnte das durch die nicht gebrauchten Altersansprüche.
Arbeitgebern sollte geholfen werden, die Vorteile älterer Mitarbeiter, die über einen reichen Wissens- und Erfahrungsschatz verfügen, zu erkennen. Besonders bei der Unterstützung, Einarbeitung und Beratung jüngerer Kollegen können die Älteren nach wie vor eine wichtige Rolle spielen. Zugleich sind flexiblere Arbeitsbedingungen sowie Teilzeitangebote nötig, um der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie möglichen gesundheitlichen Einschränkungen der älteren Mitarbeiter Rechnung zu tragen. Zudem gehören natürlich finanzielle Nachteile für diejenigen, die länger arbeiten wollen, abgeschafft.
Gerade jetzt, wo Regierungen nach Wegen suchen, ihre Haushalte zu konsolidieren, ohne das Wirtschaftswachstum zu gefährden, ist es wichtig, dass sich die Politik diese Vorschläge des Global Economic Symposiums zu Herzen nimmt. Um unsere Schulden zurückzuzahlen und mehr Wohlstand zu generieren, müssen wir die Fähigkeiten unserer älteren Mitarbeiter nutzen.
Das Global Economic Symposium (GES) ist ein laufender, in eine jährliche Konferenz mündender Prozess führender Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zur Erarbeitung wissenschaftlich fundierter Lösungsansätze für die größten Herausforderungen der Weltwirtschaft. Organisiert wird das GES vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) und der Bertelsmann Stiftung, in Kooperation mit der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW) – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. In Zusammenarbeit mit der Fundação Getúlio Vargas findet das GES 2012 in Rio de Janeiro statt.
(leicht überarbeitete Version eines Artikels im Handelsblatt vom 7. Februar 2012 unter dem Titel „Der Rentner als Ressource“)