Wirtschaftspolitischer Beitrag

Mindestlohn: Kaum Effekt auf Armutsgefährdung

Autor

  • Dominik Groll
Erscheinungsdatum

Die aktuellen Forderungen nach einer schrittweisen Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 15 Euro werden im Kern damit begründet, dass der Mindestlohn Armut unter vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern vorbeugen solle. Auf Basis der zur Verfügung stehenden Daten und Forschungsergebnisse muss allerdings konstatiert werden: Sowohl Effektivität als auch Zielgenauigkeit des Mindestlohns sind in dieser Hinsicht sehr gering.

Experte IfW Kiel

Die Forschung findet kaum nennenswerte Effekte des gesetzlichen Mindestlohns auf die Armutsgefährdung. Wissenschaftlichen Studien zufolge hat der Mindestlohn die Zahl der erwerbstätigen SGB-II-Leistungsbezieher („Aufstocker“) – wenn überhaupt – nur in sehr geringem Umfang reduziert, zumal ein Teil des Rückgangs darauf zurückzuführen ist, dass betroffene Personen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Zudem fällt die mindestlohnbedingte Erhöhung der Einkommen der Aufstocker äußerst gering aus, da der Anstieg des Lohneinkommens gemäß den Hinzuverdienstregeln zwischen 80 und 100 Prozent auf die Transferleistung angerechnet und diese entsprechend reduziert wird. Auch auf die Armutsgefährdung (sprich: auf die Einkommensungleichheit) findet die Forschung entweder überhaupt keine oder keine sonderlich belastbaren kausalen Auswirkungen des Mindestlohns.

Für Armut ist nicht der individuelle Stundenlohn, sondern das Haushaltseinkommen und die -zusammensetzung maßgebend. Ob eine Person arm oder armutsgefährdet ist, hängt nicht von ihrem Stundenlohn ab, sondern von der Höhe des Gesamteinkommens des Haushalts, in dem die Person lebt, davon, wie viele weitere Personen in diesem Haushalt leben und ob dies Erwachsene oder Kinder sind. Ein für alle Arbeitnehmer in gleicher Höhe geltender Mindestlohn kann diese Unterschiede nicht berücksichtigen und daher per Konstruktion nicht „armutsfest“ sein.

Vollzeitarbeitnehmer mit niedrigen Stundenverdiensten sind in den allermeisten Fällen nicht armutsgefährdet. Vor Einführung des Mindestlohns waren nur 14 Prozent der Vollzeitarbeitnehmer mit einem Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro armutsgefährdet. Grund ist, dass Arbeitnehmer mit niedrigen Stundenverdiensten oft in Haushalten leben, in denen eine weitere Person als Hauptverdiener für ein „armutsfestes“ Haushaltseinkommen sorgt.

Die Zielgenauigkeit des gesetzlichen Mindestlohns ist gering. Von der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro im Oktober 2022 waren schätzungsweise 5,8 Millionen Jobs betroffen. Die Zielgruppe – armutsgefährdete Vollzeitarbeitnehmer – umfasst aber nur schätzungsweise 1,3 Millionen Personen. Und die Zahl der aufstockenden Vollzeitarbeitnehmer liegt sogar nur bei 90.000 Personen. Denn die wenigsten Aufstocker arbeiten Vollzeit (12 Prozent). Grund für die geringe Zielgenauigkeit des Mindestlohns ist, dass die meisten Personen mit niedrigen Stundenverdiensten in Haushalten mit „armutsfesten“ Einkommen leben. Bei der Gruppe der Aufstocker kommt erschwerend hinzu, dass mindestlohnbedingte Lohnsteigerungen zu einer beträchtlichen Reduzierung der aufstockenden Transferzahlung führen, so dass ihr Gesamteinkommen (Summe aus Lohneinkommen und Transferzahlung) nur geringfügig steigt – wenn überhaupt.

Der Mindestlohn dürfte angesichts der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung – wenn überhaupt – nur geringe Effekte auf die Altersarmut haben. Natürlich hängt die Höhe der Rentenzahlung im Alter auch vom Stundenlohn während des Arbeitslebens ab. Der größte Druck auf das Rentenniveau geht aber von der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung aus. Das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern wird sich ohne Erhöhung des effektiven Renteneintrittsalters in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verschlechtern. Dies wird neben steigenden Rentenbeiträgen für Arbeitnehmer zu einem weiter sinkenden Rentenniveau führen. Ein Mindestlohn wird dagegen kaum etwas ausrichten können.

Der Text ist ein leicht überarbeiteter Auszug aus einer schriftlichen Stellungnahme zum Antrag der Fraktion des SSW im schleswig-holsteinischen Landtag mit dem Namen „Bundesratsinitiative für einen armutsfesten Mindestlohn – damit das Leben bezahlbar bleibt!“ (Link zur Stellungnahme). In der Stellungnahme sind im Detail die Datenquellen und Forschungsergebnisse zitiert, auf die sich die Aussagen dieses Textes stützen.


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